von Inga Frenz | 8. August 2023 | Leben
Mit zwei Jahren ausgerissen
Ich komme Mittags gerade ins Haus, als das Telefon klingelt. Eine Mutter, deren Sohn in den gleichen Kindergarten geht, ist am Apparat und legt sofort los. Ich verstehe zuerst einmal nichts, ausser Jugendamt, Verletzung der Aufsichtspflicht und Klage.
Nach mehrmaligem Nachfragen bekomme ich folgendes raus: Ihr dreijähriger Sohn und Paula haben einfach den Kindergarten verlassen und wurden in der Nebenstraße von aufmerksamen Nachbarn angesprochen und wieder zurück in den Kindergarten gebracht. Auf meine Frage, wie die Kinder denn die extrem schweren Türen aufbekommen haben, kam ein stolzes „Mein Sohn kann das!“ Ich solle sofort das Jugendamt anrufen, damit die „alles Weitere“ veranlassen. Ich will zuerst mal mit dem Kindergarten und Paula, die an dem Tag von den Großeltern abgeholt worden war, sprechen.
Paula erzählt nur, dass sie einen großen Bagger gesehen hat.
Paulas Gruppenleiterin berichtet mir, dass der Junge und Paula unbedingt den Bagger sehen wollten. Sie hat den Beiden die Schuhe und Jacken angezogen, um mit ihnen die max. 50m bis zum Bagger zu gehen. Danach ist sie kurz in den Gruppenraum gegangen, um ihre Jacke zu holen. Als sie wieder in den Flur kam, waren die Beiden nicht mehr im Flur. Über die Suche nach den Beiden im Kindergarten, kam ein Nachbar und hat die Ausreisser wieder abgeliefert.
Für mich ist das Leben und keine Verletzung der Aufsichtspflicht. In den nächsten Wochen wurde eine Verriegelung mit Schaltern in einer Höhe von ca. 1,80m eingebaut.
von Inga Frenz | 7. August 2023 | Überleben
7.8.
Mit der Organspende hast du 3 Kindern und 2 Erwachsenen das Leben gerettet.
Um 6 Uhr morgens hat der Koordinator angerufen, dass alles „gut“ gelaufen ist und du gerade angezogen wirst. Wir sind sofort losgefahren. Ezmira hatte das Kleid ausgesucht, T. Hille noch ein Tuch gebracht, da das Kleid zu weit ausgeschnitten war, um die OP-Naht zu verdecken. So konnten wir dich ein letztes Mal ohne Schläuche küssen und drücken. Du warst schon kalt, sahst aber so schön aus!
Nach uns konnte sich der engste Kreis noch von dir verabschieden.
Wir sind nach Hause gefahren und haben den Leuten, die uns wichtig sind, Bescheid gegeben, dass sie vorbeikommen können. Wir haben dein Zimmer schnell soweit wieder hergerichtet, daß die Kinder in dein Zimmer konnten. Das war gut so, sonst hätte es sicherlich Wochen gedauert, bis wir das gekonnt hätten.
Viele sind gekommen, kaum einer wusste, was genau passiert war, da wir fast ausschließlich per Whatsapp kommuniziert haben.
So haben wir den ersten Tag ohne Dich überlebt.
von Inga Frenz | 5. August 2023 | Startseite Neu
Der Anfang vom Fertigsein ist schon fertig!
Genau so verhält es sich mit diesem Blog. Ich werde ihn nach und nach weiter füllen.
von Inga Frenz | 5. August 2023 | Überleben
6.8.
Ich bin die ganze Nacht bei dir geblieben und habe deine Hand gehalten. Morgens um 10 Uhr mussten wir aus deinem Zimmer. Ricci und ich haben in einem Park gesessen und gewartet. Um 12 Uhr kam der Anruf, dass wir wieder kommen könnten.
Ich habe Bilder von dir in meinen Status gestellt, so daß dann alle wussten, du bist gestorben.
Für uns hat sich nichts geändert, durch die kommende Organspende konnten wir weiter bei dir sein, dich streicheln und küssen.
Um 14 Uhr kam der Koordinator für die Organspende. Wir haben darum gebeten, daß wir soviel Infos wie möglich bekommen.
Der OP-Termin wurde auf Mitternacht festgesetzt, uns sollte nicht zugemutet werden, noch länger zu warten.
Wir haben beschlossen, das Zimmer und dich um 23 Uhr 15 zu verlassen, wenn du für die OP vorbereitet wirst. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich zusehe, wie du endgültig aus dem Zimmer geschoben wirst. Der Termin wurde um eine halbe Stunde nach hinten geschoben. Um 23:40 sind wir nach Hause gefahren.

von Inga Frenz | 5. August 2023 | Überleben
5. August
Das Nachtteam war so lieb und hat sich die Mühe gemacht, dich an einer Seite so weit zu entkabeln und etwas mehr an die Seite zu legen, so dass ich ganz knapp auf der Kante neben dir liegen und einen Arm über dich legen konnte. Ich habe dich bestimmt eine viertel Stunde nur gefragt: „Warum hast du das gemacht?“, nur geheult und dich gehalten. Danach wurde ich ganz ruhig. Es war so schön neben dir zu liegen!
Im Laufe des Tages wurde ein Bett für uns ins Zimmer gebracht. Neben dir zu liegen und dich zu berühren, hat uns „entspannt“. Das Gefühl war eine Erinnerung an die Zeiten, wenn du krank warst und wir neben dir gelegen und dir beim Schlafen zugesehen haben.
Morgens habe ich wieder eine Liste gemacht, wer noch von dir Abschied nehmen kann. Am Abend vorher hatte ich Ricci erzählt, dass L. unbedingt kommen wollte, ich sie und ihre Mutter aber nicht zu dir lassen wollte. Ich wusste ja von deiner Not, dass du dich nicht mit ihr treffen wolltest, aber es ihr nicht einfach sagen konntest. Ricci meinte, wir hätten doch beschlossen, alles für die Kinder zu tun, vielleicht hätte L. ein schlechtes Gewissen. Also kam auch L.. Johanna wollte auch kommen, sie hatte dir einen Brief geschrieben, sie wusste aber nicht, ob sie es schafft. Ich konnte das voll verstehen. Sie hat mir den Brief ans Krankenhaus gebracht und Ricci hat ihn dir vorgelesen.
Mittags hatten wir wieder ein Gespräch mit den Ärzten. Nachdem morgens bei uns noch EKGs geschrieben wurden und wir die Zustimmung zu genetischen Blutuntersuchungen gegeben hatten, wurde uns mitgeteilt, dass die im Blut nachgewiesene Menge von Flecainid so hoch war, dass dies eindeutig die Todesursache war. Die Ärzte hatten eine Vergleichskurve von jemandem, die 9 Tabletten genommen hat. Genau sagen konnten die Ärzte nicht, wieviel du genommen hast, da hier Gewicht, Einnahmezeitpunkt, Blutabnahmezeitpunkt und Konstitution Einfluß haben. Dies hatten die Ärzte bereits der Polizei mitgeteilt und dass Okay erhalten, dass es auf jeden Fall keine Obduktion geben würde.
Uns wurde auch mitgeteilt, dass die Protokolle am Samstagvormittag durchgeführt würden. Da bereits morgens ein EEG mit 0-Linie aufgezeichnet worden war, konnten die beiden Ärzte ohne den 12-Stunden-Abstand deinen Tod feststellen. Erst danach konnte die Vorbereitung der Organspende anlaufen, das Ganze konnte sich bis zu 48 Stunden hinziehen.