Liebes Paulchen Panther,

irgendwie fing alles im Urlaub an. Ich hatte einen Alptraum, du warst tot und ich bin über mein Schreien „Was hast du getan?“ wach geworden. Es war schrecklich, so viel schlimmer, als die Alpträume, die ich sonst ab und an hatte.Ich habe danach nur gedacht, so etwas wird niemals passieren, meine Träume sind noch nie Wirklichkeit geworden.

Dass du mit deinem Leben spielen und verlieren würdest, hätte ich niemals gedacht.

Genau eine Woche vor diesem Scheiß-Dienstag, nachdem du, Ezmira und ich noch lange auf der Terrasse gesessen haben und u.a. über Rassismus, Hitler, welche Filme ihr dazu gucken könntet, gesprochen haben, dachte ich, du bist so groß, schlau und meist vernünftig. Es ist Zeit, dich nicht mehr als Kind zu sehen, nicht immer da zu sein, mich wieder mehr mit Freunden zu treffen und die neue Zeit mit dir zu geniessen.

Dazu ist es nicht mehr gekommen und es ist nicht auszuhalten. Ich habe erst letzte Woche wieder geträumt. Es ist so schön, dich wenigstens in meinen Träumen zu sehen, du fehlst mir so, du warst mein Leben.

Auch wenn „hätte, hätte“ nichts bringt, kommen sie ständig in meinen Kopf.

Wäre ich doch sauer auf dich gewesen und hätte dir nicht eine Stunde Zeit gegeben. Hätte ich Ricci nicht gesagt, daß es doch Quatsch ist, sich bei dir zu melden. Du hattest vergessen, dass ihr an dem Dienstag zusammen ins Phantasialand wolltet.

Ich bin um 15:10 in dein Zimmer gekommen, um mit dir eine Viertelstunde Mathe zu üben. Ich habe dich angesprochen, ich dachte, du schläfst. Auf mein „Komm Paula, aufstehen!“ hast du nicht reagiert. Dann hast du ganz komisch geatmet, ich meinte: „Paula, weinst du?“ Als du nicht reagiert hast, habe ich mich über dich gebeugt. Du lagst wie üblich auf der Seite. Deine Brille war beschlagen und hing quer über deinem Gesicht, du hattest etwas Schaum vorm Mund. Du hast nicht reagiert, ich habe dich angeschrien und an dir gerüttelt, du wurdest nicht wach. Ich bin ans Telefon gerannt, habe Ricci angeschrien, dass du ohnmächtig bist. Er ist sofort zu dir gestürzt. Meine Hände haben so gezittert, dass ich kaum wählen konnte. Zuerst habe ich die Polizei angerufen, direkt aufgelegt und dann die 112 gewählt: „Meine Tochter ist ohnmächtig, sie hat Schaum vorm Mund und reagiert nicht!…Nein, sie hat keine Vorerkrankungen…Ich weiß nicht, ob sie etwas genommen haben könnte!“

Ricci hat versucht, dich wachzubekommen, ich habe die Hunde ins Wohnzimmer gesperrt, die Haustüre aufgerissen, Ezmira angerufen, ob ihr irgendetwas gemacht/genommen habt. Das hattet ihr nicht. Ich habe sie angeschrien, dass sie sofort alle anrufen soll, ob sonst irgendjemand etwas weiß. Ich bin raus- u. rein- u. rumgerannt und habe gedacht, warum dauert es so lange bis der Krankenwagen kommt. Dann hat Ricci geschrien: „Paula! Paula! Sie atmet nicht mehr!“

Ich habe sofort wieder die Leitstelle angerufen und geschrien, dass du nicht mehr atmest und wo der Krankenwagen bleibt! Ich habe so geheult, ich war außer mir. Der Mann von der Leitstelle hat mich gefragt, ob ich wüßte, wie ich Wiederbelebungsmassnahmen mache, er würde mich unterstützen. Mein letzter Kurs war ca. 15 Jahre her.

Ich habe dich mit Ricci vom Bett auf den Boden gezogen, ich habe in deine toten Augen geguckt! Nach Anleitung habe ich dann Herzmassage gemacht. Der Mann von der Leitstelle hat mir das Tempo vorgegeben und mir gesagt, dass ich so lange weitermachen muss, bis die Sanitäter sagen: „Ich übernehme!“  Endlich konnte ich den Rettungswagen hören, die Sanitäter haben übernommen.

Du lagst zwischen Bett und Kommode, 2 Sanitäter und der Notarzt bei dir. Ich stand dabei, bis ich über das Bett aus dem Zimmer konnte.

Ich kann nicht sagen, wann der Notarzt sagte, sie hätten dich wieder!!!

Dann kam die Frage, was du genommen haben könntest. Keine Ahnung! Es lag nirgendwo etwas, was man mit Tabletten in Verbindung bringt. Du hattest extreme Herzrhythmusstörungen, ob wir Herzmedikamente haben. Ricci fing an, seine Medikamente aufzuzählen, ich bin ins Bad und habe die Medikamente, die auf dem Arzneischrank standen, aufs Bett geworfen. Der Notarzt hat noch einen Krankenwagen gerufen, wir sollten in die Küche gehen und uns beruhigen, du wurdest für den Transport in die Klinik vorbereitet.

Die Sanitäter aus dem 2. Rettungswagen kamen zu uns, ob wir etwas zur Beruhigung haben wollten, ob sie sonst etwas für uns tun könnten. Ich konnte nicht still stehen, ich musste mich bewegen und bin hin- u. hergelaufen. Die Sanitäterin hat deinen Rucksack nach irgendeinem Hinweis durchsucht.

Uns wurde gesagt, dass du stabil bist, selbstständig atmen könntest und du in die Kinderklinik kommen würdest. Wir sollten bevor wir ins Krankenhaus fahren, alles durchsuchen, ob wir einen Hinweis auf Tabletten oder Drogen finden. Wir haben alles abgesucht, aber keinen Blister oder so gefunden. Um kurz vor halb 5 sind wir dann ins Krankenhaus gefahren. Zeynep und Ezmira haben dort gewartet, da ich ihnen Bescheid gegeben habe, sobald ich wusste, wo du hingebracht wirst. Zeynep hat mir geschrieben, dass die Kinder gesagt haben, dass du dich an mir rächen wolltest…

Wir wurden in der Ambulanz hektisch in ein Arztzimmer gesetzt, weil du noch behandelt wurdest. Während wir gewartet haben, kam der Notarzt zu uns und hat uns gesagt, dass du nochmal kollabiert bist, sie dich ein zweites Mal wiederbelebt haben und du nun wieder stabil bist.

Wir waren uns sicher, dass du überlebst, wenn auch mit den Folgen des Sauerstoffmangels.

Dann kam ein Arzt zu uns. Wir wurden gefragt, ob wir Drogen im Haus haben. Nein. Im Auto war uns noch eingefallen, dass ich meine Blutdrucktabletten in der Küche habe und Ricci meinte, dass bei den Herzmedikamenten, die ich aufs Bett geworfen hatte, dass Herzrhythmusmedikament nicht bei war. Der Arzt hat uns nochmal darauf hingewiesen, dass es sehr wichtig wäre, zu wissen, was du genommen hast.

Wir durften auf die Intensivstation, sollten dann aber nochmal nach Hause gucken, welche Medikamente fehlten. Gerade das Rhythmus-Medikament wäre wichtig, da du extreme Rhythmusstörungen hattest.

Du lagst nur mit zwei Windeln bedeckt an so vielen Geräten, du wurdest künstlich beatmet, an beiden Armen und beiden Beinen lagen Zugänge, am Hals hattest du einen Schnitt, es gab eine Magensonde… Es war grausam, aber du hast gelebt!!!

Der Stationsarzt hat mit uns geredet, u.a. sagte er, daß es Kinder nicht schaffen, sich mit Tabletten umzubringen.

Wir haben uns wieder auf den Weg nach Hause gemacht und alles auf links gedreht, die Mülltonnen durchsucht. Es war so absurd! Du hattest das Matheheft da liegen, dir etwas zu essen hingestellt. Wir haben keinen Blister gefunden.

Als wir nicht schlauer wieder im Krankenhaus waren, warst du nicht -wie geplant- an der Dialyse. Beim Intubieren war deine Lunge verletzt worden, durch die Gabe von Blutverdünnern für die Dialyse hast du geblutet. Das Wichtigste war, dass dein Herz weiterschlägt. Laut dem Stationsarzt konnte man nichts dazu sagen, ob bzw. welche Schäden du davontragen würdest. Du bist ins künstliche Koma gelegt worden. Dass du dich gegen den Beatmungsschlauch gewehrt hast und der Sauerstoffmesser auf deiner Stirn fast normale Werte gezeigt hat, bezeichnete er als ganz gutes Zeichen.

Wir haben an deinem Bett gesessen, vorsichtig deine Arme und Beine gestreichelt und dir immer wieder gesagt, dass alles gut wird. Ricci ist irgendwann nach Hause. Er wollte morgens um 6 wieder da sein.

Um 22 Uhr haben sie dich fertig gemacht, um dich ins CT zu schieben, da dein Herz einigermassen stabil war. Die Vorbereitung dauerte sehr lange, sogar ein Defilibrator war dabei, als sie dich zum CT gebracht haben.

Als sie dich wieder gebracht haben, kam „Entwarnung“: keine Hirnschwellung. Bei der Übergabe mit dem Nachtarzt hat der Stationsarzt allerdings gesagt, daß es zwar noch Platz zum Schädel gab, er aber eine Schwellung sah und die Wiederbelebung im Krankenwagen/Krankenhaus 30min gedauert hat.

Im Laufe der Nacht hast du ein wenig die rechte Hand bewegt, zuerst nur den kleinen Finger, dann mehrere und nachher die ganze Hand. Die Nachtschwester u. der Arzt waren der Meinung, dass du wohl trotz Betäubung unterschwellig wach wirst. Ich habe keine Minute ein Auge zugemacht, nur ständig auf die Monitore geguckt und dich gestreichelt.

Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich war so doof und habe die ganze Zeit die Maske angelassen. Meine Nase war vom Heulen vollkommen zugeschwollen, ich bekam ganz schlecht Luft, konnte nicht mehr sitzen und war plötzlich so müde.

Als Ricci um kurz vor 6 kam, bin ich nach Hause gefahren.

 

Über diesen Blog

Paula ist nun ein Jahr tot. Ich möchte diesen Blog nutzen, um Erinnerungen an Paula festzuhalten, meine Gedanken zu sortieren und zu teilen.

2 Kommentare

  1. … und immernoch fehlen mir die Worte, Inga.

    Das wird sich auch nicht mehr ändern !

    Es gibt auch keine tröstenden Worte, die man schreiben oder Sachen, die man tun könnte.

    Wir denken an Paula, wir denken an euch & wir rocken’s irgendwie zusammen weiter ❤️

    … und Paula lacht über uns Deppen

  2. Wir reden so oft über Paula und gemeinsame Erlebnisse. Wir halten die Erinnerungen fest in uns!

    Trotzdem ist es auch immer noch so unwirklich und es zieht einem den Boden unter den Füßen weg, wenn man nur versucht sich hinein zu versetzen……

    Paula wird immer Fehlen und ich wünsche dir und euch so sehr, dass jeder Weg den ihr geht, es erträglich macht mit dem größten Verlust weiter zu machen. Auch um Paulas Willen…..

    Wir sind da, zu jeder Zeit! 🫶🏼

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